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Wann reißt ein Seil an einer scharfen Kante?

Scharfe Kanten sind gefährlich für dein Seil. Wie stark es beschädigt wird, hängt von einigen Faktoren ab:

  • Kantenschärfe und -rauheit: rauhe, rostige Scharfkanten im Lostplace sind gefährlich, aber auch Betongrate, Schiefer-/Kalkgestein und sogar Granit
  • Seilspannung/Gewicht des Kletterers: je höher dein Gewicht, desto gespannter das Seil, und desto schneller kann es beschädigt werden
  • Sturzenergie: ob du 20 cm oder 2 m ins Seil fällst, macht einen großen Unterschied
  • Bewegung des Seils auf der Kante: Horizontalbewegungen sind sehr gefährlich
  • Seildicke

Kletterst du als Sportkletterer an einem 8,5 mm Seil und stürzt 10 Meter bei gleichzeitig horizontaler Bewegung an einer scharfen Kante, ist eine Seilbeschädigung oder gar Riß unvermeidlich. Glücklicherweise entfällt bei Geocachern, Industriekletterern und Baumpflegern meist die Sturzenergie, da sie von Anfang an am Seil hängen.

Das sagt die Sicherheitsforschung

Scharfkantenrisse sind in der Praxis nach wie vor selten. Da die wenigen Unfälle aber schnell gehyped werden, entsteht oft der Eindruck, Seile wären total unsicher. Beim DAV Sicherheitskreis sind nur etwa ein Dutzend Seilrisse dokumentiert. Die Sicherheitsforschung definiert als scharfe Kante einen Kanten-Radius von 0,75mm. Mit diesem Radius hat man zahlreiche Scharfkantentests durchgeführt, und schon vor Jahren wollte man eine EN Norm schaffen. Auch die Bergführer-Vereinigung UIAA hat eine solche Norm sogar eingeführt (UIAA 108), jedoch wieder ausgesetzt. Das Problem: selbst unter standardisierten Laborbedingungen riss das gleiche Seil völlig unterschiedlich.

Die UIAA liess nicht locker und hat in der neuen Norm 101 einen Seilriss-Test integriert. Dabei kommt es nicht mehr darauf an, wie lange ein Seil der scharfen Kante widersteht, sondern wie viel Energie es absorbiert vor dem Seilriss. Im Test stürzt ein 80kg Gewicht über 4,7m (mit Sturzfaktor 2) freier Fall auf die scharfe Kante. Die Energie ist so massiv, dass in der früheren UIAA 108 Norm ein Test schon als bestanden galt, wenn das Seil wenigstens einen Sturz hielt. Heute misst man nur noch, wie viel Energie das Seil vor dem Riss absorbiert hat. Dieser UIAA 101 Test ist keine Pflicht für Seilhersteller.

Dicke zählt

Wie gut ein Seil einer scharfen Kante widersteht, nennen die Seilhersteller „Kantenarbeitsvermögen“. Je dicker ein Seil, desto besser, wobei ein 11 mm Seil doppelt so hohes Kantenarbeitsvermögen besitzt wie ein 9 mm Seil. Da wir als Seilkletterer an – aus Sichte der Sportkletterer – dicken Seilen klettern, haben wir mehr Reserven.

Bewegung auf der Kante extrem gefährlich

Während Labor-Scharfkantentests als senkrechter Fall auf die scharfen Kante ausgeführt werden, sieht es in der Seilketterpraxis von Geocachern und Industriekletterern oft anders aus: das Seil liegt schon auf der Kante, bewegt sich dort aber horizontal. Auch Alpinisten kennen solche Kantenbewegungen bei Pendelstürzen.

Solche Horizontalbewegungen auf der Kante bei gespanntem Seil sind äußerst gefährlich. Sie kommen einer Schnittbewegng mit einem Messer gleich und müssen unbedingt vermieden werden. Auf unserem Safetykurs durchschneiden Teilnehmer ein gespanntes Seil wie Butter. Daher ist es wichtig, dass Seilkletterer an Metall- und Steinkanten einen Seilschoner einsetzen – dieser gehört zur absoluten Grundausstattung.

Was du tun kannst

Scharfe Kanten treten beim Seilklettern vor allem auf an Brücken (z.B. scharfe Betongrate), an Steintürmen (Abseilen über die Kante), in Schiefer-Steinbrüchen und im Lostplace Bereich (Metall und Beton). In Bäumen und an Holz sind scharfe Kanten selten. In allen Fällen empfehlen wir dringend einen Seilschoner, der zur absoluten Grundausstattung gehört.

Seilschoner gibt es in verschiedenen Ausführungen: vom Standardschoner aus LKW Planenmaterial über dickwandigere, robuste Schoner (z.B. von Edelrid oder Petzl) bis hin zu solchen aus äußerst schnittfestem Aramid. Alle drei Versionen findest du in unserem Shop beim Seilzubehör. Wie du einen Seilschoner positionierst, auch auf nicht erreichbaren Kanten, lernst du auf dem Advancedkurs.