Seilkletterer hängen ständig in ihrem Gurt – wenn der aber drückt, hört der Spaß schnell auf. Das kann sogar gefährlich werden: man wird hektisch, macht unüberlegte Handlungen. Leider kann man Gurte (außer auf unseren Kursen) selten ausprobieren. Nach 11 Jahren Kursbetrieb haben wir viel Erfahrung sammeln können – hier die wichtigsten Tipps, was bequeme Gurte ausmacht.
Gurtpolster: ist Größe alles?
Die Bequemlichkeit deines Klettergurtes wird bestimmt durch die Größe und Form der Polster, die Gurt-Geometrie sowie deine Anatomie.
Gehst du in ein Bergsportgeschäft, findest du fast immer Sportklettergurte. Die haben die schmalsten Polster – kein Wunder, denn Sportkletterer benötigen geringes Gewicht und hängen in ihrem Gurt selten länger als eine Minute. Wir als dauerhängende Seilkletterer – außer leichte Personen – finden deshalb diese Gurte bei längeren Hängepartien meist unangenehm.
Rescuegurte sind ein vergleichsweise neues, wachsendes Segment: die Gurte ähneln Sportklettergurten, haben aber breitere Polster und mehr (voll belastbare) Einbindepunkte – wenn schon leicht, dann finden wir Rescuegurte die bessere Wahl.
Industriegurte haben nochmals breitere Auflagen, und bei Baumpflegegurten wird es monströs – allein das Rückenpolster kann hier bis zu dreimal so breit sein wie bei Sportklettergurten.
Gurte mit breiten Polstern sind spürbar bequemer – leider verkennen viele Hersteller, dass Größe nicht alles ist. Auch die Form entscheidet, was uns zu den typischen Druckpunkten führt.
Wo Gurte drücken: Frauenquote null
Wenn dich ein Gurt drückt, dann fast immer an den gleichen Stellen: seitlich am Rippenbogen und im Schritt auf der Innenseite der Oberschenkel. Während Männer mehr über die eingeschränkte Freiheit ihres besten Stücks klagen, haben Frauen häufiger Probleme am Rippenbogen – was damit zusammenhängt, dass es (außer für´s Sportklettern) schlicht keine Gurte für Frauen gibt.
Das Verhältnis von Oberschenkelumfang zu Taille ist bei Frauen anders – oft sind die Hüftgurte zu weit oder der Oberschenkelgurt zu eng. In unserer Kurspraxis gehen daher die Teilnehmerinnen- Urteile über den gleichen Gurt oft weit auseinander – die einen wollen gar nicht mehr raus, die anderen wollen gar nicht mehr rein ;-). Hier hilft neben Ausprobieren nur Maß nehmen und vergleichen, siehe unten.
Ein in die Rippen drückender Hüftgurt ist seitlich gerade so breit, dass die Oberkante des Polsters in den Rippenbogen drückt. Wäre das Polster dort schmaler bzw. würde der Hüftgurt weniger hochrutschen, würde das nicht passieren. Manche Hüftgurte sind extrabreit und liegen wie eine Lehne auf den Rippen – der empfundene Hängekomfort ist dann traumhaft und geht Richtung Sofa. Andere wiederum sind seitlich so schmal, dass Druck erst gar nicht ausgeübt wird. Das richtige Maß zu finden, ist leider von der individuellen Anatomie abhängig: zierlichen Frauen empfehlen wir entweder einen sehr breiten Hüftgurt (liegt dann auf den Rippen und nicht darunter) oder einen seitlich besonders schmalen wie bei Rescuergurten. Bei kräftigeren Personen und Männern empfehlen wir im Zweifel eher breite Polster.
Drückt das Polster in den Rippenbogen, ist das zuerst unangenehm, dann schmerzhaft. Bei sehr starkem Druck wird deine Atmung eingeschränkt, du fängst an zu hecheln. Linderung bei drückendem Hüftgurt verschafft das Aufstehen in die Fußschlinge. Auch kannst du die Lage des Hüftgurts ändern, etwa durch enger/weiter stellen oder einer – wenn möglich – Verkürzung der vorderen Gurtbänder, siehe unten.
Gurt-Geometrie – Vokuhila bringt’s!
Dass breite Polster bequem sind, leuchtet ein. Neben deren Form (siehe oben) ist auch die Gurt-Geometrie wichtig. Damit meinen wir die Weite von Hüftgurt und Beinschlaufen, sowie vor allem die Länge der hinteren und vorderen Gurtbänder.
Sind die hinteren Gurtbänder zwischen Hüftgurt und Beinschlaufen zu kurz, zieht es die Beinpolster unangenehm in den Schritt. Das ist der Grund, warum manchmal Sportklettergurte trotz ihrer schmalen Beinpolster als angenehm empfunden werden – sie haben oft längenverstellbare, sehr dehnbare Gummibänder. Die Polster zieht es so nicht in den Schritt und sie können dort auch nicht einschneiden. Bei anderen Gurttypen hingegen sind die hinteren Gurtbänder aus robustem, wenig/nicht dehnbaren Nylonband, was bei kurzen Bändern schnell unangenehm wird.
Die vorderen Gurtbänder zwischen Beinschlaufen und Einbindepunkt/Hüftgurt entscheiden darüber, wie hoch dein Hüftgurt rutscht und wie die Lastenverteilung ist von Beinschlaufen zu Hüftgurt. Lange vordere Gurtbänder führen zu hoch liegendem Hüftgurt. Je kürzer, desto mehr Last liegt auf die Beinschlaufen. Der Hüftgurt wird entlastet, rutscht weniger hoch und kann weniger in die Rippen drücken.
Die Vokuhila-Fußballerfrisur („Vorne-kurz-hinten-lang“) der 90er Jahre bringt’s also: im Durchschnitt werden Gurte als angenehmer empfunden mit eher kurzen vorderen und langen hinteren Gurtbändern. Ganz extrem ist das bei Baumpflegegeurten, denn dort sind die vorderen Gurtbänder nahezu direkt mit dem Einbindepunkt, der Seilbrücke, verbunden. Man sitzt wie in einer Kinderschaukel. Die Herausforderung solcher Gurte liegt eher darin, noch genug Rückhalt zu bieten. Deshalb ist bei Baumpflegegurten eine spezielle Neigungs-Einstellmöglichkeit von Hüftgurt zu Beinschlaufen wie beim Edelrid Treerex sinnvoll.
Maß nehmen
Damit dein Gurt möglichst wenig drückt, solltest du deine Körpermaße kennen. Hast du kein Maßband, kannst du auch eine Schnur nehmen und die Länge an einem Maßstab ablesen.
Vergleiche deine Maße mit den Herstellerangaben. In unserem Shop findest du die Werte bei jeder Gurtbeschreibung. Wir sind unseres Wissens nach die einzigen, welche die Länge der hinteren Gurtbänder angeben. So hast du genauere Daten.
Praxistipps
- Maß nehmen: mit deinen Körpermaßen, insbesondere der Gesäßlänge, kannst du Fehleinkäufe verringern
- Hintere Gurtbänder auf maximale Länge: längenverstellbare Gesäß-Gurtbänder auf maximale Länge stellen und dann nach Bedarf schrittchenweise verkürzen
- Beinschlaufen lockern: drückt dein Gurt im Schritt, dann stelle die Beinschlaufenweite lockerer ein, und zwar so, dass du im Stehen noch deine Hand zwischen Bein und Gurt schieben kannst. Im Hängen fällt es dir dann leichter, die drückende Beinschlaufe zu verschieben
- Hüftgurt fester ziehen: ein gut angezogener Hüftgurt rutscht weniger hoch und verringert deine Rücklage
- Position ändern: drückt dein Gurt, dann entlaste ihn, indem du dich in deine Fußschlaufe oder dich auf einen Ast stellst. Hilft zumindest kurzfristig
- Bruststeigklemme benutzen: Wer mit Bruststeigklemme aufsteigt, kann sich zum Ausruhen zusätzlich in die Schulterbänder lehnen. Das bringt spürbare Erleichterung. Dabei ist es weniger wichtig, ob die Schultergurte gepolstert sind. Allerdings funktioniert dieser Effekt nur mit der Bruststeigklemme. Bei in der vorderen Öse eingelegtem Abseilgerät sind Schulterpolster nahezu wirkungslos. Auch sollte man den Umbau in der Höhe von Bruststeigklemme auf Abseilgerät beherrschen (lernst du auf dem Grundkurs)
- Kürzer einbinden: bei Sport- und Rescuegurten kannst du neben die vordere Textilschlaufe eine weitere Öse einbauen, damit die Abstände kürzer werden. Findest du in unserem Shop. Erhöht außerdem die Anzahl deiner Anschlagpunkte
Mehr Details über Gurte findest du in unserem Wissensbereich
Gurte zum kaufen findest du in unserem Shop
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