230 Artikel: das komplette Seilkletter-Wissen

Du bist hier:

Was kann bei einem Sturz passieren?

Seilkletterer stürzen selten ins Seil, denn sie hängen von Anfang an dran. Ein Sturz kann passieren, wenn ein Ast bricht oder man beim aktiven Klettern auf Ästen/an Konstruktionen das Seil nicht nachzieht.

Seilstürze sind gut untersucht. Gefährlich ist immer die Sturzenergie – je höher, desto größer die Verletzungsgefahr. Die Sturzenergie ist abhängig von der Sturzhöhe, vom Gewicht, Seil, Länge des Seils, Fallwinkel, Reibung, Material und einigem mehr. Damit das nicht zu kompliziert wird, hat man den Sturzfaktor als Kenngröße eingeführt.

Der Sturzfaktor kennt nur zwei Parameter: Länge des Seils, in das man hineinstürzt, sowie die Sturzhöhe. Zur Ermittlung des Faktors wird immer die Sturzhöhe geteilt durch die Länge des Seils:
 
Sturzhöhe geteilt durch Seillänge = Sturzfaktor
 
Beispiel: Du hast dein Seil festgemacht an einem Baum, das Seil läuft über eine Astgabel in 15m Höhe und du selbst hängst 2m darunter. Die Gesamtlänge des Seils beträgt vom Boden bis zu dir also 17m.
Jetzt kletterst Du die restlichen 2m bis zur Astgabel über Äste und vergisst dein Seil nachzuziehen. Prompt rutschst du aus und fällst die 2 Meter wieder runter. Deine Fallhöhe war also 2m bei einer Gesamtseillänge von 17m. 2 geteilt durch 17 ist 0,12. Dein Sturzfaktor war also 0,12.

Laut Norm müssen Statikseile Sturzfaktoren bis 0,3 sicher dämpfen (ohne dass Verletzungen zu erwarten sind). Außerdem müssen sie einen Sturzfaktor 1 sicher halten (Seil reißt nicht, du aber dürftest verletzt sein durch den Fangstoß). Bei obigem Sturz in dein Statikseil wärst du also mindestens 60% unter dem sicheren Grenzwert geblieben. Oder du hättest 5 Meter fallen dürfen, um diesen Grenzwert auszureizen. Und selbst wenn du von der Astgabel bis knapp über den Boden gefallen wärst – dein Statikseil hätte dich gehalten, allerdings hättest du wahrscheinlich Verletzungen durch den Fangstoß davongetragen. Bei Dynamikseilen wird etwas anders gemessen, Sturzfaktoren bis 1,7 müssen sie sicher halten. 
 
Die wichtigste Aussage des Sturzfaktors ist, dass die “Härte” eines Sturzes nicht allein davon abhängt, wie tief du fällst. Denn das Seil nimmt viel Energie auf. Ist es kurz, kann es auch kaum Energie aufnehmen. Schon ein Sturz von 1,5 Metern kann brutal sein!
 
Beispiel: Dein Seil ist an einem Brückengeländer befestigt. Du warst an der Dose und kommst gerade hoch. Anderthalb Meter unter dem Geländer benutzt du einen Vorsprung und kletterst einfach so weiter – ohne dein Seil nachzuziehen. Du willst dich übers Geländer schwingen, rutschst aus und fällst. In diesem Fall war deine Seillänge 1,5m und deine Sturzhöhe auch 1,5m. Der Sturzfaktor ist 1 – mit einem dynamischen Seil ungefährlich, mit einem Statikseil allerdings schon. Das Seil wird zwar nicht reißen, deine Falldämpfung ist aber viel zu gering und du könntest dich schwer verletzen. Hättest du das Ganze mit Bandschlingen gemacht, wär´s das wohl gewesen, siehe dieser Artikel. Grundsätzlich gilt:

  • Sturzfaktor bis 0,3:
    Deine Fallhöhe beträgt das bis zu 0,3fache deiner Seillänge. An 15m Seil wären das 5m Fallen, aber auch an einer 120er Bandschlinge 40cm Fallen. Muss laut Norm von Statikseilen gefahrlos gehalten werden, ohne dass du Verletzungen erleidest (Fangstoßkraft max 6kN). Das Seil kann man weiterverwenden. Gleiches gilt für Dynamikseile.
    Bei Nylonbandschlingen bis 1,2m mit 40cm Fallhöhe wäre dieser Wert vielleicht gerade noch tolerierbar. Bei dehnungsfreien 1,20er Dyneemaschlingen könntest du dich bereits verletzen
  • Sturzfaktor 0,3 bis 1:
    Deine Fallhöhe ist maximal genauso hoch wie die Länge des Seils. Kommt vor allem in Vorstiegssituationen vor, etwa wenn du dein Seil 2m über dir im Baum einbaust, hochkletterst und wieder 2m runter fällst. Faktor 1 ist aber auch ein 80cm Sturz in eine 80cm Bandschlinge. Beim Sturz in ein Statikseil würde dieses halten, du würdest aber Verletzungen davon tragen. Das Seil dürftest du weiterverwenden. Ein Sturz in ein Dynamikseil würde dieses nicht nur sicher halten, sondern auch sicher dämpfen. Stürze in Bandschlingen über 80cm würden schwere Verletzungen nach sich ziehen
  • Sturzfaktor über 1:
    Deine Fallhöhe ist höher als die Länge des Seils – entsteht dann, wen man seinen Sicherungspunkt überklettert, etwa wenn du dein Seil im Baum 2m über dir einbaust und dann sogar noch über diese Astgabel drüber kletterst. Im schlimmsten Fall könntest du 4m fallen bei 2m Seil. Ist bei Statikseilen laut Norm nicht vorgesehen, wahrscheinlich aber würden sie halten. Ein Dynamikseil muss dich halten, allerdings steigt das Verletzungsrisiko. In allen Fällen müssten die Seile nach einem solchen Sturz aussortiert werden. Bandschlingen über 80cm würden schwerste Verletzungen hervorrufen und vermutlich sogar reißen
  •  
    Fazit
    Wenn du beim Baumklettern dein Seil unten festmachst, hast du selbst mit Statikseilen zufriedenstellende Reserven. Du musst dich schon doof anstellen, um mehrere Meter zu fallen. In Steinbrüchen, an Brücken und beim Baumvorstieg mit Kurzseil sieht die Sache allerdings anders aus. Wegen der knappen Seillängen und damit geringen Reserven solltest du unbedingt darauf achten, dass Dein Seil stets gut angezogen ist! Da man Bandschlingen nicht anziehen kann, ist der Umgang damit in solchen Situationen extrem gefährlich.