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Gibt es Gewichts-Obergrenzen für Abseilgeräte?

Ja. Das schreiben drei EN Normen vor:

Sportkletter-Halbautomaten wie z.B. Petzl Grigri müssen laut EN 15151 eine statische Last von 200 Kilo aushalten und dürfen dabei maximal 30 Zentimeter durchrutschen. Selbst komplett fixiert müssen sie mindestens 800 Kilo aushalten. Außerdem müssen sie einen dynamischen Falltest bestehen. Diese Tests sagen nichts aus über die Funktionalität, also wie gut sich das Gerät bedienen lässt. Unserer Erfahrung nach benötigt man bei Gewichten über 90 Kilo ein gutes Feingefühl, was an der Größe der Geräte liegt.

Tests für Industrie-Abseilgeräte (EN 341) wie Petzl Rig, I´D, ISC A-B sind weit aufwändiger. Hier muss der Hersteller ein Minimal- und Maximalgewicht auf dem Gerät angeben. Innerhalb dieser Grenzen muss das Gerät voll funktionieren. Die Bruchlast muss aber mindestens 10 mal so hoch sein wie das höchste angegebene Gewicht.
Wenn also auf deinem Gerät “bis 150kg” steht und du mit zwei Personen und 180 Kilo abseilst, macht das dem Gerät nichts aus, denn es muss 1.500 Kilo aushalten (10 mal 150 Kilo). Funktional allerdings (z.B. Bedienungsfreundlichkeit, Dosierbarkeit) müsstest du über 150 Kilo Einschränkungen in Kauf nehmen. In unserer Praxiserfahrung sind Lasten von bis zu 20 Prozent über dem angegebenen Wert problemlos möglich.

Eine dritte vereinfachte Industrienorm für Abseilgeräte (EN 12841) schreibt volle Funktionstüchtigkeit bis mindestens 100 Kilo vor. Bei einer Last bis 300 Kilo darf das Seil maximal 30cm durchrutschen, und das Gerät darf unter 12 kN (1200 Kilo) nicht brechen.

Welcher Norm dein Abseilgerät entspricht, steht auf dem Gerät. Das am höchsten belastbare uns bekannte Gerät bei voller Funktionalität ist übrigens das ISC A-B.

Realität

In der Realität ist es extrem unwahrscheinlich, dass du auch nur annähernd an die Bruchlastgrenze eines Gerätes kommst:

  • jedes Gerät gibt vor dem Bruch das Seil frei, sprich: bevor das Gerät bricht, rutscht das Seil durch
  • jedes Seil – auch Statikseile – haben dynamische Sturzreserven, die mit einer Obergrenze von 6 kN (600 Kilo) weit unter der Bruchlast der Geräte liegt
  • viel wichtiger in der Realität sind Bedienbarkeit und Vielseitigkeit

 

Hintergrund

Für Geräte gibt es verschiedene Belastungsgrenzen: die Working Load Limit (WLL) ist die Obergrenze, mit der laut Hersteller problemlos gearbeitet werden kann. Nach unserer Erfahrung wird die WLL sehr konservativ angegeben und führt regelmäßig bei unseren Kunden zu Irritationen, weil sie glauben, dass das Gerät nur bis zu dieser Grenze halten würde. Tatsächlich haben wir hier in über 15 Jahren, tausenden Kursteilnehmern und ebenso vielen Praxiseinsätzen noch nie Probleme erlebt.

Die Breaking Load ist die Bruchlast Grenze, also ab wann das Gerät brechen kann. Diese steht nicht auf dem Gerät, wird aber von der EN Norm vorgeschrieben. Sie ist üblicherweise mindestens 10mal höher als die Working Load Limit und wird im Real-Einsatz eigentlich nur in sehr theoretischen Szenarien erreicht.