230 Artikel: das komplette Seilkletter-Wissen
Alles über Normen
Da Seilklettern lebensgefährlich ist, musst du dich auf deine Ausrüstung verlassen. Dafür gibt es Normen. Deine Ausrüstung muss also gewisse Standards erfüllen, damit es draußen kein böses Erwachen gibt.
Jegliche in der EU gekaufte Kletterausrüstung (“Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz”) muss diese Standards erfüllen, sonst darf sie nicht verkauft werden. Es gibt für alle erdenklichen Ausrüstungsteile EN Normen, manchmal gleich mehrere. Die Normen sind sehr streng. Wir kennen keinen Unfall, der auf eine zu lasche Norm zurückzuführen war.
Beispiel: dein Körper erträgt schwere Verletzungen ab einer Krafteinwirkung von ca. 6kN. Gurte müssen aber laut Norm das Doppelte aushalten und Seile das Dreifache. Bevor dein Seil reißt, hast du also ganz andere Probleme.
Für dich als privater Seilkletterer heißt das: dein Zeug hält mehr aus als du. Wenn etwas kaputt geht, dann durch falsche Anwendung und Schlamperei. Diese Punkte lernst du auf unserem Safetykurs. Kaufe aber nur zertifizierte Ausrüstung bei Fachhändlern. Es gibt nach wie vor illegale Graumarkt-Ware, insbesondere auf bekannten Verkaufsplattformen.
Sind Normen Bürokratiewahnsinn?
Eigentlich nicht. Die Absichten sind immer gut: durch eine Norm kannst du als Verbraucher sicher sein, dass die Ausrüstung wichtige Standards erfüllt. Normen werden auch nicht von Bürokraten in Brüssel ausgedacht, sondern von Ausschüssen, die sich aus Fachverbänden, Industrie und Experten zusammensetzen. Also eine durchaus praktische Arbeit.
Mit der UIAA gibt es einen Verband, dem das noch nicht praktisch genug ist. Die “Union Internationale des Associations d’Alpinisme” erstellt eigene Praxis-Normen. Meist satteln sie auf EN Normen auf. Ein UIAA Zeichen auf deiner Ausrüstung ist also ein gutes Signal – allerdings gibt es das nur auf Bergsport-Ausrüstung und ist freiwillig.
Normenwirrwarr: Beispiel Abseilgeräte
Die EU unterscheidet beim Seilklettern zwischen Freizeit/Bergsport und Beruf/Arbeitssicherheit. Für beide Bereiche gibt es Normen, die inhaltlich oft ähnlich sind. So gibt es für Abseilgeräte gleich drei Normen:
Welche dieser Normen dein Abseilgerät erfüllt, ist für dich als Privatanwender eigentlich wurscht. Die Industrie ist da strikter, hier werden die Normen für den Arbeitsbereich verlangt. EN 15151 Abseilgeräte findet man dort selten.
Die EN 12841 ist für uns so etwas geworden ist wie eine “Ich-geh-auf-Nummer-sicher” Norm. Die wenigsten wissen, dass sie für Abseilgeräte in Seilsystemen gilt. Der Gesetzgeber schreibt also ein zweites paralleles Sicherungsseil vor (mit mitlaufendem Sicherungsgerät). Das aber machen nur Industriekletterer. Weder Apinisten, noch Geocacher, Speläologen oder Baumpfleger bzw. private Seilkletterer benutzen ein paralleles Seilsystem.
Vorteil für den Hersteller: wenn jemand sein EN 12841 Gerät ohne zweites Seil einsetzt, haftet er bei einem Unfall nicht. Außerdem ist der EN 12841 Normtest weniger aufwändig. Wichtig ist auch, wie die Bedienungsanleitung für dieses Gerät aussieht: erwähnt der Hersteller den ausschließlichen Einsatz im Seilsystem?
So ist z.B. das in den letzten Jahren bekannt gewordene LOV2 Abseilgerät ein solches EN 12841 Gerät, und der Hersteller schreibt explizit in seiner Anleitung eine Anwendung mit zweitem Sicherungsseil vor. Vielen Anwendern war das egal, und es gab zahlreiche Unfälle.
Es gibt aber auch Abseilgeräte ohne Norm, etwa das Petzl Zigzag. Für Geräte in umlaufenden Seilen gibt es einfach keine Norm. Ebenso das Zigzag zusammen mit Chicane am Einfachseil – keine Norm. Entscheidend in einem solchen Fall ist, was der Hersteller sagt und für welchen Anwendungszweck er es vorschreibt.
Schließlich gibt es auch keine Norm für´s Abseilen mit Bremsknoten (HMS) oder Prusiktechniken. So hilfreich Normen also sind – sie decken nicht alles ab, und gegen falsche Anwendung helfen sie auch nicht.